Ich bin Ihnen und Euch dankbar, dass Ihr heute hier im Bürgerhaus ein gemeinsames Gedenken an die Menschen ermöglicht, die im Holocaust ums Leben gebracht wurden. Es waren Menschen aus unserer Mitte, Nachbarn, Freunde, Spielkameraden, Arbeitskollegen, Bekannte, Vereinskameraden, Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt und unserer Dörfer.
Bertolt Brecht hat gesagt: „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.“
Und so wollen wir nun denken an:
Johanna Gompertz, Josef Gompertz, Else Baer, Erna Müller, Bruno Lilienfeld, Josef Lilienfeld, Paula Lilienfeld, Ruth Goldmann, Eduard Sander, Jettchen Sander, Oskar Plaat, Emil Isaac, Ernestine Isaac, Isidor Isaac, Margot Isaac (7 Jahre alt), Rosa Isaac, Selma Becker, Klara Bernhard, Salomon Bernhard, Selma Bernhard, Esther Marcus, Louis Marcus, Dr. Hermann Cussel, Hermann Straus, Lena Berets, Lina Straus, Siegfried Straus, Sophie Silversmit, Walter Straus, Herbert Sander, Hertha Sander, Kurt Sander, Max Sander, Walther Sander – im Alter von 10 Jahren im Lager von Sobibor ermordet.
So lauten die Namen der Reeserinnen und Reeser, die im Holocaust ermordet worden sind. Sie wurden hier aus unserer Stadt und aus unseren Dörfern nach Riga, Sobibor, Minsk, Theresienstadt und Auschwitz verschleppt und um ihr Leben gebracht. 34 von über 6 Millionen Menschen, die ermordet worden sind.
Ihr haltet das Gedenken an die Jüdinnen und Juden von Rees wach. Sie sind nicht vergessen und sie werden nie vergessen werden.
Am 27. Januar 1945 hat die Sowjetarmee das Lager Auschwitz befreit. 1997 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog den Holocaust-Gedenktag in Erinnerung an diese Befreiung initiiert und seitdem erinnert die Stadt Rees anlässlich des Holocaust-Gedenktages an ihre ermordeten Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Auch die Erinnerungsarbeit von Bernd Schäfer, der dafür mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet wurde, die Einrichtung des „Raums der jüdischen Traditionen“ im Koenraad Bosman-Museum, die Pflege der beiden jüdischen Friedhöfe und die Stolpersteine vor den Häusern, in denen Jüdinnen und Juden in Rees und den Ortsteilen gelebt haben sowie das jährliche Gedenken an die Pogromnacht am 9. November und der Gedächtnisgang nach Megchelen zeugen davon, das Rees die Erinnerung an seine jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger und an die niederländischen Zwangsarbeiter wach hält.
6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden ermordet. Gar 12 Millionen aus ganz Europa sollten es sein, so der Beschluss der Wannsee-Konferenz. Auf der wurde von Staatssekretären und anderen hohen Beamten beraten, wie man die Ausrottung bürokratisch organisiert. Listen, Vorgänge und Vermerke – alles mit schöner deutscher Gründlichkeit gemäß Geschäftsordnung.
Wie verbissen das Regime – buchstäblich bis zuletzt – an diesem Ziel festhielt, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Züge lieber für den Transport von Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager bereitgestellt wurden, als für den Transport von Kriegsmaterial an die Front. Wichtiger als den Krieg zu gewinnen, war die Ermordung möglichst vieler Jüdinnen und Juden.
Ebenfalls nicht ins Bild der selbst ernannten „arischen Herrenmenschen“ passten Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle und viele weitere. Auch sie Opfer des Nazi-Terrors, bei dem viel zu viele mitgemacht haben. Angefangen hatte es mit Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und Menschen, die aus Glaubensgründen oder aufgrund ihrer Einstellung die Nazis verachteten. Sogar Witze im Karneval – wir feiern ihn ja gerade – konnten tödlich enden.
Das alles hat schon früh begonnen, schon im Mittelalter, vielleicht sogar davor. Der Antisemitismus als Ideologie entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Das angeblich bedrohte Deutschtum wurde heroisiert und musste dringend verteidigt werden. Der nordische Mensch sei angeblich anderen überlegen. So hat noch jeder Völkermord begonnen.
Das eine Blut sei gut, das andere schlecht, weshalb irgendwann auch keine Taufe mehr vor der Ermordung schützte.
Es gäbe zu wenig Lebensraum, deswegen müsse sich das Deutsche Reich neuen Lebensraum im Osten suchen. Bloß, wohin mit den Menschen, die dort leben? Auch die ersten Ausrottungsphantasien stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts. Das Ganze unterlegt mit der bombastisch dröhnenden Musik des Antisemiten Richard Wagner. Die Saat ging auf. Schon 1925 schrieb Hitler in angenehmer Festungshaft sein Buch „Mein Kampf“. Da stand schon alles drin, es hat nur keiner Ernst genommen.
Immer wieder heißt es: „Nie wieder!“ Aber es passiert doch immer wieder. Jeden Tag geschehen Übergriffe auf Jüdinnen und Juden. An einem jeden Tag wird ein Anschlag auf eine jüdische Einrichtung verübt. Vom Eierwurf, zum verwüsteten Friedhof bis zur zersprungen Sicherheitsglasscheibe, bis hin zu Schüssen auf Synagogen. Jüdinnen und Juden werden verprügelt, geschlagen, bespuckt, beleidigt, beschimpft. Von vielen Verbrechen erfahren die Behörden nichts, die Dunkelziffer ist hoch.
Natürlich sind wir nicht verantwortlich für das, was die Nazis getan haben, aber wir sind verantwortlich für das, was ist und das, was noch kommt. Und wir sind verantwortlich für die Erinnerung an die Opfer dieses Wahnsinns. Deswegen ist das, was Ihr hier heute macht, so wichtig. Es ist nicht allein Erinnerungsarbeit. Es ist auch Zukunftsarbeit.
Vielen Dank!
Freundliche Grüße
Bodo Wißen
Erster Stellvertretender Bürgermeister
und Ratsherr der Stadt Rees
Apfeldornweg 13
46459 Rees-Haldern
Mobil 0163 5 69 41 29